Neutronenstern light – oder etwas ganz Anderes?

Ein spektakuläres Ende erleiden Sterne, die mindestens etwa dreimal so schwer wie die Sonne sind. Ihnen gelingt es, in verschiedenen Schalen in ihrem Inneren alle Elemente bis hin zum Eisen als Brennstoff zu verwenden. Ihr nur 10.000 Kilometer durchmessender Kern besteht dann in der Regel aus Eisen und schwereren Elementen. Was dem sterbenden Stern nun passiert, hängt vor allem von diesem Kern ab. Wenn er die Chandrasekhar-Grenze von 1,44 Sonnenmassen überschreitet, kann seine Materie der eigenen Gravitation nicht mehr widerstehen – und der Stern kollabiert zu einem Neutronenstern.

Seine Materie wird dabei so stark zusammengepresst, dass die Elektronen der Atomhülle mit den Protonen des Atomkerns zu Neutronen verschmelzen (dabei werden Elektron-Neutrinos frei). Der Kern stößt gleichzeitig in einer gigantischen Explosion, einer Supernova, seine Hülle ab. Bei einem Neutronenstern handelt es sich um ein sehr kompaktes Objekt – bis zu 3 Sonnenmassen befinden sich in einer Kugel mit 20 Kilometer Durchmesser. Ein Kubikzentimeter davon wiegt etwa so viel wie ein Eisenwürfel mit einem Kilometer Kantenlänge. An der Oberfläche herrscht eine 200 Milliarden mal stärkere Gravitation als auf der Erde. Fiele dort ein Gegenstand aus einer Höhe von einem Meter auf den Boden, schlüge er nach einer Mikrosekunde mit 7,2 Millionen Kilometern pro Stunde auf.  

Neutronensterne haben also mindestens die 1,44-fache Masse der Sonne und einen Radius von nur einigen zehn Kilometern, was sie zu den dichtesten Objekten im Universum macht. Meist liegt ihre Masse zwischen dem 1,17- und 2,35-fachen der Masse der Sonne. Mitten in einem als HESS J1731-347 bekannten Supernova-Überrest haben Forschende nun aber eine Sternleiche gefunden, die weitaus leichter ist. Ein Artikel in Nature Astronomy berichtet über diesen kleinen und extrem leichten Neutronenstern, der einem Radius von etwa 10 km und eine Masse von nur 77 % derjenigen der Sonne hat.

Victor Doroshenko und Kollegen berechneten die Masse dieses Neutronensterns, der damit das derzeitige Verständnis der Sternphysik in Frage stellt. Die Autoren argumentieren, dass es sich bei diesem Objekt möglicherweise gar nicht um einen normalen Neutronenstern handelt, sondern um ein exotischeres – und bisher unentdecktes – Objekt, das als “seltsamer Stern” bezeichnet wird, einen hypothetischen Stern aus Quarkmaterial.

Theoretisch, denn solche Objekte konnte man bisher nicht nachweisen, könnte jeder Neutronenstern zu einem Quarkstern werden, wenn sich seine Masse der so genannten Tolman-Oppenheimer-Volkoff-Grenze annähert, ohne sie zu überschreiten. Diese Grenze liegt zwischen 1,5 und 3 Sonnenmassen. Physiker interessieren sich für Quarksterne, weil sie einer der wenigen Orte sein müssten, an denen auch die hypothetische Seltsame Materie existieren kann. Sie besteht aus den zum Standardmodell der Physik gehörenden Strange-Quarks. Seltsame Materie müsste, wenn sie mit mehr als 1000 Protonenmassen schwer genug ist, stabil sein.

Wie konnten Doroshenko & Co. den Neutronenstern überhaupt wiegen? Normalerweise zeigen sie sich nur durch die Röntgenstrahlung, die sie abgeben. Mit ihrem typischen Durchmesser sind sie viel zu klein, um sie im Teleskop abzubilden. Ein heller Stern, der kürzlich am gleichen Ort gefunden wurde (HESS J1731-347), ermöglichte es Doroshenko und seinen Mitautoren jedoch, die Entfernung zu dem Sternpaar zu bestimmen und so die Masse des Neutronensterns und die Dichte der Materie in ihm zu bestimmen.

Der Pulsar PSR B1257+12 hat sogar ein Planetensystem (künstlerische Darstellung)

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BrandonQMorris
  • BrandonQMorris
  • Brandon Q. Morris, 54, ist Physiker und beschäftigt sich beruflich und privat schon lange mit den spannenden Phänomenen des Alls. So ist er für den redaktionellen Teil eines Weltraum-Magazins verantwortlich und hat mehrere populärwissenschaftliche Bücher über Weltraum-Themen geschrieben. Er wäre gern Astronaut geworden, musste aber aus verschiedenen Gründen auf der Erde bleiben. Ihn fasziniert besonders das „was wäre, wenn“. Sein Ehrgeiz ist es deshalb, spannende Science-Fiction-Geschichten zu erzählen, die genau so passieren könnten – und vielleicht auch irgendwann Realität werden.