4000 Sterne: In der Nähe der Sonne fließt ein Sternstrom

Und aus dem Haufen entspringt ein Fluss: Das ist kein Lyrik-Versuch, sondern kosmische Realität. Wenn Sterne in einem Sternhaufen geboren werden, verbringen sie oft nur ihre Jugend in dieser Kinderstube. Später dann bekommt der gesamte Sternhaufen die Gravitation der ihm nächsten Galaxie zu spüren. Der Haufen wird wie alle Sterne der Galaxie um ihren Kern geschleudert, und dabei verformt er sich über lange Zeit, wird länger und länger und schließlich zu einem Sternstrom – einer Menge von Sternen, die gemeinsam eine Galaxie durchstreifen.

In unserer Milchstraße kennt man bereits einige solcher Sternströme, etwa den 1971 entdeckten Arkturus-Strom oder den Monoceros-Ring, der sich sogar mehrfach durch due Milchstraße winden soll. Jetzt haben Forscher in Daten des Gaia-Satelliten der ESA einen weiteren Sternstrom ausgemacht, der in unmittelbarer Nähe unseres Sonnensystems fließt, also in unserem galaktischen Hinterhof. Der Strom ist etwa 1300 Lichtjahre lang. Er durchmisst etwa 160 Lichtjahre und nähert sich unserer Sonne auf etwa 325 Lichtjahre. Dadurch bedeckt er den größten Teil des Südhimmels, bis zu 120 Grad. Die Forscher schätzen, dass er 4000 Sterne mit insgesamt mindestens 2000 Sonnenmassen enthalten könnte.

Seine Herkunft können die Forscher derzeit nicht erklären, wobei sie einen Offenen Sternhaufen oder eine sogenannte OB-Assoziation vermuten, ene lockere Form eines Sternhaufens, die aus heißen Sternen der Spektralklassen O und B besteht. Das Alter des Stroms, der sich mit einer Geschwindigkeit von 11,4 Kilometern pro Sekunde von der galaktischen Ebene entfernt, dürfte mindestens eine Milliarde Jahre betragen. Die Entdeckung ist nicht nur interessant, weil sie die Strukturen der Milchstraße klarer macht: Der Sternstrom ist auch ein natürliches Messinstrument für die Gravitation der Milchstraße.

Der Sternstrom in einer stereografischen Projektion, in der sich die Milchstraße in einen Bogen um den Südpol verwandelt (Bild: Astronomy & Astrophysics)

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BrandonQMorris
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  • Brandon Q. Morris, 54, ist Physiker und beschäftigt sich beruflich und privat schon lange mit den spannenden Phänomenen des Alls. So ist er für den redaktionellen Teil eines Weltraum-Magazins verantwortlich und hat mehrere populärwissenschaftliche Bücher über Weltraum-Themen geschrieben. Er wäre gern Astronaut geworden, musste aber aus verschiedenen Gründen auf der Erde bleiben. Ihn fasziniert besonders das „was wäre, wenn“. Sein Ehrgeiz ist es deshalb, spannende Science-Fiction-Geschichten zu erzählen, die genau so passieren könnten – und vielleicht auch irgendwann Realität werden.