Eine Schwarze Witwe lauert 3000 Lichtjahre entfernt

Astronomen lieben Analogien aus dem Tierreich. Für einen schnell rotierenden Neutronenstern, der sich von seinem Lebenspartner ernährt, haben sie den Begriff der “Schwarzen Witwe” geprägt, obwohl Neutronensterne natürlich weder schwarz sind noch Witwen. Der Stern, von dem diese Pulsare (die anderenfalls in astronomischem Maßstab schnell zur Ruhe kämen) frische Energie für ihre Rotation beziehen, lebt ja noch. Normalerweise identifiziert man derartige Systeme – allein in der Milchstraße sind etwa zwei Dutzend bekannt – über die Röntgen- und Gammastrahlung, die die Pulsare wie Himmelsleuchttürme abgeben. Allerdings strahlt nicht jeder Pulsar auch in unsere Richtung. Es ist sogar viel wahrscheinlicher, dass wir die hochenergetische Strahlung nie zu Gesicht bekommen. Und da Neutronensterne nur zehn bis zwanzig Kilometer durchmessen, kann man sie mit einem optischen Teeskop nicht beobachten.

Ein internationales Forscherteam hatte nun eine schlaue Idee, wie man solche Schwarzen Witwen trotzdem finden könnte: indem man sich ihr Opfer ansieht. Die Tagseite des Begleitsterns – die Seite, die dem Pulsar ständig zugewandt ist – sollte ja eigentlich um ein Vielfaches heißer sein als seine Nachtseite, weil hier ständig die hochenergetische Strahlung des Pulsar auf ihn einprasselt. “Ich dachte mir, anstatt direkt nach dem Pulsar zu suchen, sollten wir nach dem Stern suchen, den er zum Kochen bringt”, erklärt der Physiker Kevin Burdge, der die Studie des Teams mit verfasste. Um ihre Theorie zu überprüfen, werteten Burdge und seine Kollegen optische Daten aus, die von der Zwicky Transient Facility aufgenommen wurden, einem Observatorium in Kalifornien, das Weitwinkelaufnahmen des Nachthimmels macht. Das Team untersuchte die Helligkeit von Sternen, um festzustellen, ob sich diese in einem Zeitraum von einer Stunde oder weniger drastisch um einen Faktor 10 oder mehr veränderten – Anzeichen, die auf die Anwesenheit eines Begleitsterns hindeuten, der einen Pulsar eng umkreist.

Das Team fand mit dieser Methode zunächst ein Dutzend bekannter Schwarzer Witwen, was ihre Genauigkeit bestätigte. Dann jedoch entdeckten sie einen Stern, dessen Helligkeit sich alle 62 Minuten um den Faktor 13 ändert – und der damit vermutlich das arme Opfer einer Schwarzen Witwe darstellt. ZTF J1406+1222 befindet sich 3000 Lichtjahre von der Erde entfernt. Aber das ist noch nicht alles. Bei der Durchsicht jahrzehntealter Messungen des Sterns aus dem Sloan Digital Sky Survey fand das Team heraus, dass das System von einem anderen, weit entfernten Stern verfolgt wird. Nach ihren Berechnungen scheint dieser dritte Stern den inneren Doppelstern alle 10.000 Jahre zu umkreisen, wie ein Beobachter, der der Schwarzen Witwe aus sicherer Entfernung bei ihrem Mahl zusieht.

Das ist spannend, weil man viel Fantasie aufbringen muss, um die Entstehung eines solchen Systems zu erklären. Das Astronomenteam schlägt folgende Geburtsgeschichte vor: Das Dreifachsystem ist wahrscheinlich aus einer dichten Zusammenballung alter Sterne entstanden, einem Kugelsternhaufen. Dieser spezielle Haufen könnte in das Zentrum der Milchstraße gedriftet sein, wo die Schwerkraft des zentralen Schwarzen Lochs den Sternhaufen auseinanderzog, wobei die dreifache Schwarze Witwe intakt blieb. “Es ist ein kompliziertes Geburtsszenario”, sagt Burdge. “Dieses System treibt wahrscheinlich schon länger in der Milchstraße herum als die Sonne.”

Eine illustrierte Ansicht eines Schwarze-Witwe-Pulsars und seines stellaren Begleiters. Die Gammastrahlenemissionen des Pulsars (magenta) heizen die gegenüberliegende Seite des Sterns (orange) stark auf. Der Pulsar verdampft allmählich seinen Partner. (Bild: NASA / Goddard Space Flight Center / Cruz deWilde)

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BrandonQMorris
  • BrandonQMorris
  • Brandon Q. Morris, 54, ist Physiker und beschäftigt sich beruflich und privat schon lange mit den spannenden Phänomenen des Alls. So ist er für den redaktionellen Teil eines Weltraum-Magazins verantwortlich und hat mehrere populärwissenschaftliche Bücher über Weltraum-Themen geschrieben. Er wäre gern Astronaut geworden, musste aber aus verschiedenen Gründen auf der Erde bleiben. Ihn fasziniert besonders das „was wäre, wenn“. Sein Ehrgeiz ist es deshalb, spannende Science-Fiction-Geschichten zu erzählen, die genau so passieren könnten – und vielleicht auch irgendwann Realität werden.