Durch tödliches Gift zum Leben auf der Erde?
Verbindungen zwischen Kohlenstoff und Stickstoff heißen Cyanide. Das Kohlenstoffatome ist dabei dreifach mit dem Stickstoffatom verbunden. Es bleibt ihm also eine Valenz, um etwa mit Wasserstoff zu Blausäure oder mit Kalium zu Kaliumcyanid (“Zyankali”) zu werden. Diese sind in der Regel höchst giftig. es gibt allerdings komplexere Moleküle, in denen das Cyanid so fest gebunden ist, dass es nicht mehr giftig wirkt. So ist etwa der Zusatzstoff E536 (Kaliumhexacyanidoferrat(II)) als Lebensmittelzusatzstoff zugelassen.
Auch in der Frühzeit der Erde, vor vier Milliarden Jahren, könnten Cyanide die Entstehung von Leben vorbereitet haben. Das zeigen Chemiker von Scripps Research in einer Arbeit in der Zeitschrift Nature Chemistry. Denn bevor überhaupt Leben geboren werden konnte, mussten zunächst die notwendigen Basismoleküle entstehen.
Einige Bakterien, die noch heute auf der Erde leben, nutzen eine Reihe von chemischen Reaktionen, die als umgekehrter Tricarbonsäurezyklus (r-TCA-Zyklus) bekannt sind, um Kohlendioxid und Wasser in lebensnotwendige chemische Verbindungen umzuwandeln. Viele Wissenschaftler vermuten, dass der r-TCA-Zyklus auch schon auf der Oberfläche der frühen, noch unbelebten Erde stattfand und dort die für das Leben notwendigen Moleküle erzeugte. Dabei gibt es aber ein Problem: Der heutige r-TCA-Zyklus ist auf eine Reihe komplexer Eiweiße angewiesen, die es vor der Entstehung des Lebens noch gar nicht geben konnte. Allerdings konnten andere Wissenschaftler beweisen, dass man auf diese Eiweiße auch verzichten kann. In der Ursuppe müssten dann vor vier Milliarden Jahren bestimmte Metalle die gleichen Reaktionen ohne die heutigen Proteine ausgelöst haben. Dazu waren nun allerdings extrem saure und heiße Bedingungen nötig, die – so der heutige Wissensstand – auf der frühen Erde wohl nicht herrschten.
Ramanarayanan Krishnamurthy, außerordentlicher Professor für Chemie und Hauptautor der neuen Studie, und seine Kollegen fragten sich, ob ein anderes Molekül die gleichen Reaktionen unter gemäßigteren Bedingungen anregen könnte. Sie wussten, dass Cyanide in der Atmosphäre der frühen Erde vorhanden waren, und dachten sich Wege aus, wie sie zur Herstellung organischer Moleküle aus Kohlendioxid verwendet werden könnten. Dann stellten sie diese Reaktionen in einem Reagenzglas nach. Es funktionierte: Cyanide sind wie Proteine oder Metalle in der Lage, Elektronen zwischen Molekülen zu übertragen.
“Es war erschreckend, wie einfach es war”, sagt Krishnamurthy. “Wir mussten wirklich nichts Besonderes tun, wir haben diese Moleküle zusammengemischt, gewartet und die Reaktion lief spontan ab.” Im Gegensatz zu den früheren r-TCA-Versionen, bei denen Metalle verwendet wurden, funktionierte der Zyklus auf Cyanidbasis bei Raumtemperatur und in einem breiten pH-Bereich, der den Bedingungen entsprach, die auf der frühen Erde geherrscht haben dürften. Darüber hinaus konnte das Team zeigen, dass Cyanide eine noch einfachere Version des r-TCA-Zyklus ermöglichen – eine, die einige der Schritte und die weniger stabilen Zwischenmoleküle des heutigen Zyklus umgeht. Diese Untergruppe von Reaktionen könnte dem vollständigen r-TCA-Zyklus bei der Entstehung des Lebens vorausgegangen sein, vermutet Krishnamurthy.
Es gibt natürlich keine Möglichkeit, zweifelsfrei zu beweisen, welche Chemie auf der frühen Erde stattgefunden hat. Aber die Entdeckung der neuen Reaktionen ist spannend, weil wir damit besser nach anderen Heimstätten von Leben im Kosmos suchen können. “Es befreit uns von der Annahme, dass es Metalle und extreme Bedingungen geben muss”, sagt Krishnamurthy. “Es könnte Leben geben, das sich aus dieser cyanidbasierten Chemie entwickelt”.