Winterschlaf auf dem Weg zum Mars?

Stellen Sie sich vor, Sie werden erst einmal zwei Wochen lang gut gefüttert. Kuchen, Steaks, was immer Sie mögen – bis Sie wenigstens zehn Kilogramm zugenommen haben. Danach legen Sie sich schlafen. Ihre Körpertemperatur wird abgesenkt, und damit auch Ihr Grundumsatz. Sie schlummern in ihrer kühlen Höhle, an allen Seiten von Wasserbehältern umgeben, wie ein Bär, bis Sie nach drei Monaten wieder geweckt werden. Das Übergewicht sind Sie los. Sie haben aber auch kaum Muskelmasse eingebüßt, anders, als wenn Sie zwangsweise drei Monate gelegen hätten, denn im Winterschlaf bleiben ihre Muskeln erhalten. Jetzt noch drei Wochen Reha, um die geringen Verluste auszugleichen, und Sie sind fit für Ihre Forschungsmission auf dem Mars.

So könnte in Zukunft ein Marsflug ablaufen, wenn es nach den Ideen von ESA-Forschern geht, die den Prozess in einem Fachartikel vorstellen. Es geht dabei aber nicht nur um eine komfortable Reise. Die Reduzierung des Stoffwechsels einer Besatzung auf dem Weg zum Mars auf ein Viertel des Normalzustands würde die Menge an zu transportierenden Vorräten und die Größe des Wohnraums  deutlich reduzieren. Aber auch den Stress der Crew. “Wo es Leben gibt, gibt es auch Stress”, erklärt Jennifer Ngo-Anh, ESA research and payload coordinator of Human and Robotic Exploration und eine der Autorinnen des Papiers. “Die Strategie würde Langeweile, Einsamkeit und Aggressionen im Zusammenhang mit der Enge in einem Raumschiff minimieren.”

Es geht dabei aber nicht um Kryoschlaf, wie er in der Science Fiction öfter vorkommt, bei dem alle Zellen des Körpers gleichzeitig tiefgefroren werden. Ob sich so etwas je umsetzen lässt, ist fraglich. Den Winterschlaf jedoch, den die Forscher meinen, setzt die Natur bei zahlreichen Spezies bis hin zu Säugetieren erfolgreich um. Er beruht auf einer kältebedingten Verringerung des Stoffwechsels. Bären scheinen das beste Vorbild für den menschlichen Winterschlaf im Weltraum zu sein. Sie haben eine ähnliche Körpermasse wie wir und senken ihre Körpertemperatur nur um ein paar Grad – eine Grenze, die für den Menschen als sicher gilt. Wie Bären sollten auch Astronauten zusätzliches Körperfett ansetzen, bevor sie in den Winterschlaf fallen. Während des Winterschlafs verbringen Bären in ihren Höhlen sechs Monate fastend und unbeweglich. Trotzdem bleiben sie fit. “Untersuchungen zeigen, dass Bären ihre Höhle im Frühjahr gesund verlassen und nur geringfügig an Muskelmasse verlieren. Es dauert nur etwa 20 Tage, bis sie wieder auf normalem Niveau sind. Daraus lernen wir, dass der Winterschlaf den Muskel- und Knochenschwund verhindert und vor Gewebeschäden schützt”, erklärt Alexander Choukér, Professor für Medizin an der Ludwig-Maximilians-Universität in München.

Bei Säugetieren scheint ein niedriger Testosteronspiegel einen langen Winterschlaf zu begünstigen, während Östrogene beim Menschen den Energiestoffwechsel stark regulieren. “Das sehr spezifische und unterschiedliche Gleichgewicht der Hormone bei Frauen und Männern und ihre Rolle bei der Regulierung des Stoffwechsels legen nahe, dass Frauen bevorzugte Kandidatinnen sein könnten”, sagt Choukér. Die Astronauten würden den Weg zum Mars in einer weichen Kapsel verbringen, bei wenig Licht, kühlen Temperaturen unter zehn Grad Celsius und hoher Luftfeuchtigkeit. Dabei würden sich nur wenig bewegen, wären aber nicht gefesselt. Sensoren müssten Körperhaltung, Temperatur und Herzfrequenz messen, und bei medizinischen Problemen würde das Crewmitglied geweckt. Und wozu die Wasserbehälter? Sie schützen die schlafenden Reisenden vor der kosmischen Strahlung.

Für interstellare Reisen eignet sich diese Technik leider nicht. Der Stoffwechsel läuft ja weiter, und der Mensch altert auch im Winterschlaf.

Wie sich die ESA den Marsflug vorstellt (Bild: ESA)

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BrandonQMorris
  • BrandonQMorris
  • Brandon Q. Morris, 54, ist Physiker und beschäftigt sich beruflich und privat schon lange mit den spannenden Phänomenen des Alls. So ist er für den redaktionellen Teil eines Weltraum-Magazins verantwortlich und hat mehrere populärwissenschaftliche Bücher über Weltraum-Themen geschrieben. Er wäre gern Astronaut geworden, musste aber aus verschiedenen Gründen auf der Erde bleiben. Ihn fasziniert besonders das „was wäre, wenn“. Sein Ehrgeiz ist es deshalb, spannende Science-Fiction-Geschichten zu erzählen, die genau so passieren könnten – und vielleicht auch irgendwann Realität werden.