Physiker drehen die Zeit zurück – ein bisschen

“Ach, könnte ich doch die Zeit zurückdrehen!” Physikern scheint das gerade gelungen zu sein – zumindest im Quantenreich und mit kleinsten Teilchen. Das berichten sie im Wissenschaftsmagazin Scientific Reports. Eigentlich ist es unmöglich, das Rad der Zeit zu manipulieren. Das liegt daran, dass der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik zwischen Vergangenheit und Zukunft unterscheidet.

Die meisten anderen physikalischen Gesetze sind reversibel. Aber wenn der Zweite Hauptsatz ins Spiel kommt, verhält sich die Natur bockig, dann entwickelt sich alles immer nur in eine Richtung. Das Kartenhaus bricht von selbst zusammen, baut sich aber nicht von selbst wieder auf. Wärme fließt von selbst vom warmen zum kalten Körper, aber nicht in die andere Richtung (daraus leitet man schließlich auch ab, dass ein Perpetuum Mobile zweiter Art unmöglich ist).

Im Quantenreich, wenn die Objekte nur klein genug und die Zeitabstände nur kurz genug sind, gelten viele der alten Regeln jedoch nicht mehr. Hier kann etwas aus dem Nichts entstehen, hier ist es möglich, dass sich zwei Körper gleichzeitig am selben Ort aufhalten und dass zwei um Lichtjahre voneinander entfernte Teilchen gleichzeitig ihren Zustand ändern, ohne miteinander in Austausch zu stehen. Wenn Ihnen das komisch vorkommt, sind Sie in guter Gesellschaft, Einstein konnte sich Zeit seines Lebens nicht damit anfreunden.

Aber die Quantenphysik hat einen wichtigen Fürsprecher: die Realität. Was man mit ihren Formeln ausrechnet, stimmt mit der Wirklichkeit überein. Also kann sie nicht besonders weit danebenliegen, im Gegenteil, wir müssen uns damit abfinden, dass die Welt im Kleinsten eben ziemlich seltsam ist.

Und das gilt offenbar auch für die Zeit. In ihrer Arbeit haben sich die Forscher in einem Gedankenexperiment ein einzelnes Elektron betrachtet, das sich irgendwo im interstellaren Raum befinden könnte. Sein Zustand wird von der Schrödinger-Gleichung beschrieben, die grundsätzlich Reversibilität zulässt. Allerdings dehnt sich das Universum dauernd aus, und natürlich auch dort, wo sich das Elektron aufhält. Schon nach dem Bruchteil einer Mikrosekunde hat sich der Raum, in dem das Elektron existiert, irreversibel gedehnt und dabei seine Position quasi verschmiert.

Aber es gibt eine mathematische Operation, eine Transformation, die das Elektron zumindest nach kurzer Zeit zurück in seinen Ursprungszustand bringt, es also in die Vergangenheit transportiert. Das könnte bei einer statistischen Schwankung in der Kosmischen Hintergrundstrahlung tatsächlich passieren. Die Physiker haben ausgerechnet, dass der mutige Sprung in die Vergangenheit, würde man über die Lebenszeit des Universums (13,7 Milliarden Jahre) jede Sekunde zehn Milliarden Elektronen beobachten, in der ganzen Zeit nur ein einziges Mal ablaufen würde. Das Elektron würde dabei aber auch nur um eine Zehnmilliardstel Sekunde in die Vergangenheit reisen.

Sie sehen, das Rad der Zeit dreht sich selbständig fast immer in die richtige Richtung.

Aber es ist möglich, die Operation auf einen Quantencomputer zu übertragen. An einem System aus zwei Qubits konnten die Forscher mit 80 Prozent Erfolgsrate die Zeit zurückdrehen und verlorengegangene Ordnung wiederherstellen; bei drei Qubits immerhin noch mit 50 Prozent. Dass die Erfolgsrate nicht höher iiegt, führen die Forscher auf die noch junge Technik der Quantencomputer zurück, sie sollte sich also noch verbessern lassen.

Was bedeutet das für die Praxis? Sie werden nicht in die Vergangenheit reisen können, es sei denn, Sie sind ein Quantencomputer. Falls Sie ein Quantencomputer sind und dies hier lesen und verstehen, dann verschonen Sie den Autor bitte bei Ihrer in Kürze bevorstehenden Übernahme der Erde. Danke!

Die vier Zustände des Quantencomputers im Experiment (unten) und ihre Entsprechungen beim Gedankenexperiment mit dem Elektron im Weltraum (Mitte) und in der Billardtisch-Analogie (oben) (Bild: @tsarcyanide/MIPT Press Office)

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BrandonQMorris
  • BrandonQMorris
  • Brandon Q. Morris, 54, ist Physiker und beschäftigt sich beruflich und privat schon lange mit den spannenden Phänomenen des Alls. So ist er für den redaktionellen Teil eines Weltraum-Magazins verantwortlich und hat mehrere populärwissenschaftliche Bücher über Weltraum-Themen geschrieben. Er wäre gern Astronaut geworden, musste aber aus verschiedenen Gründen auf der Erde bleiben. Ihn fasziniert besonders das „was wäre, wenn“. Sein Ehrgeiz ist es deshalb, spannende Science-Fiction-Geschichten zu erzählen, die genau so passieren könnten – und vielleicht auch irgendwann Realität werden.