Wie wiegt man ein Teilchen, von dem man nicht weiß, ob es existiert?

85 Prozent des Massegehalts des Universums macht die sogenannte Dunkle Materie aus. “Dunkel” nennen sie die Forscher, weil man nichts von ihr bemerkt – außer ihrer Gravitation. Die allerdings kann man ziemlich gut nachweisen. Ohne Dunkle Materie würden sich Galaxien anders bewegen, als sie es nachweislich tun, und das Universum hätte eine andere Struktur. Die Physiker brauchen die Dumkle materie also, um den Kosmos zu erklären. Zu dumm, dass sie immer noch nicht wissen, woraus sie denn besteht. Kandidaten für sie gibt es durchaus: MACHOs (massive kompakte Haloobjekte) etwa, WIMPs (schwach wechselwirkende massive Teilchen) und sogar unsichtbare schwarze Löcher aus der Frühzeit des Universums. Doch von keinem Kandidaten hat man bisher genügend Exemplare aufgespürt, um die Dunkle Materie zu erklären.

Jetzt kommt das Axion ins Spiel. Obwohl es kein WIMP im engeren Sinne ist, interagiert das Axion auch nur schwach mit normaler Materie. Es durchdringt die Erde problemlos. 1978 wurde es als neues Elementarteilchen vorgeschlagen, weil die Wissenschaft eine Erklärung suchten, warum der Spin (der Drehimpuls) eines Neutrons in einem elektrischen Feld nicht präzediert oder “wackelt”. Der Theorie nach ist es das Axion, das diese Präzession im Neutron unterdrückt.

Könnte es auch ein Kandidat für die Dunkle Materie sein? Allerdings – wenn es die richtige Masse hat. Schon seit den 1980er-Jahren unternahm man erste Versuche, Axionen nachzuweisen. Mit Hilfe der Gleichungen der gut überprüften Theorie der fundamentalen Teilchenwechselwirkungen, des so genannten Standardmodells, und der Theorie des Urknalls, des kosmologischen Standardmodells, lässt sich eigentlich die genaue Masse des Axions berechnen. Aber die Gleichungen sind so kompliziert, dass bisher nur stark variierende Schätzungen der Masse des Axions vorliegen, die von einigen μeV bis 500 μeV reichen. Axionen sucht man mit Hilfe von Mikrowellenhohlräumen, das sind im Grunde ausgeklügelte Radioempfänger. Dabei muss man allerdings Millionen von Frequenzkanälen durchprobieren, um denjenigen zu finden, der (nach der Einsteinschen Masse-Energie-Äquivalenz) der Masse des Axions entspricht.

Bisher hat auf diese Weise niemand das Axion aufgespürt. Liegt es daran, dass man im falschen Bereich sucht? Darauf deuten neue Ergebnisse hin, die jetzt in Nature Communications veröffentlicht wurden. Mit Hilfe neuer Berechnungsmethoden simulierte ein internationales Team die Zeit, in der Axionen entstanden sein müssten, nämlich kurz nachdem das Universum etwa 10 -35 s nach dem Urknall in seine Inflationsphase eingetreten war. Diese Phase enormer Ausdehnung dauerte bis zu einem Zeitpunkt zwischen 10-33 s und 10-30 s nach dem Urknall. Bei 10-27 s etwa könnten die Axionen entstanden sein. Die Simulation am National Research Scientific Computing Center (NERSC) des Berkeley Lab ergab, dass die Masse des Axions mehr als doppelt so groß ist wie bisher von Theoretikern und Experimentatoren angenommen: zwischen 40 und 180 Mikroelektronenvolt (Mikro-eV oder μeV), also etwa ein Zehnmilliardstel der Masse des Elektrons. Es gibt Hinweise darauf, dass die Masse nahe bei 65 μeV liegt.

“Wir haben den dynamischen Bereich unserer Axion-Simulationen im Vergleich zu früheren Arbeiten um das Tausendfache verbessert und eine 40 Jahre alte Frage bezüglich der Axion-Masse und der Axion-Kosmologie geklärt”, sagt Benjamin Safdi von der University of California, Berkeley. Der neue Wert bedeutet auch, dass die bisher gängigste Art von Experiment zum Nachweis dieser schwer fassbaren Teilchen – eine Mikrowellenresonanzkammer mit einem starken Magnetfeld, in der die Wissenschaftler hoffen, die Umwandlung eines Axions in eine schwache elektromagnetische Welle aufzuspüren – nicht effektiv ist, egal, wie sehr man das Experiment zu optimieren versucht. Die Kammer müsste nämlich kleiner sein als ein paar Zentimeter, um die höherfrequente Welle eines schwereren Axions aufzuspüren, so Safdi. Dieses Volumen wäre jedoch zu gering, um genügend Axionen einzufangen, damit das Signal das Rauschen übertrifft.

Aber es gibt auch gute Nachrichten: Eine neuere Art von Experiment, das nach Axion-Anregungen in einem Metamaterial – einem Festkörperplasma – sucht, sollte für ein Axion-Teilchen dieser Masse empfindlich sein und könnte es möglicherweise nachweisen.

In einer Simulation des frühen Universums, kurz nach dem Urknall, werfen tornadoartige Fäden (dunkelblaue Schleife) Axionteilchen ab. Diese Axionen sollten heute noch vorhanden sein und könnten die Dunkle Materie sein, nach der Astrophysiker suchen (Bild: Malte Buschmann, Princeton-Universität)
Ein weiterer Schnappschuss aus der Simulation des frühen Universums. Hier variiert die Energiedichte des Axions von hoch, gelb, über blau und rot bis zu einem Tiefpunkt in schwarz. (Bild: Malte Buschmann, Princeton University)

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BrandonQMorris
  • BrandonQMorris
  • Brandon Q. Morris, 54, ist Physiker und beschäftigt sich beruflich und privat schon lange mit den spannenden Phänomenen des Alls. So ist er für den redaktionellen Teil eines Weltraum-Magazins verantwortlich und hat mehrere populärwissenschaftliche Bücher über Weltraum-Themen geschrieben. Er wäre gern Astronaut geworden, musste aber aus verschiedenen Gründen auf der Erde bleiben. Ihn fasziniert besonders das „was wäre, wenn“. Sein Ehrgeiz ist es deshalb, spannende Science-Fiction-Geschichten zu erzählen, die genau so passieren könnten – und vielleicht auch irgendwann Realität werden.