Bekommt das Sonnensystem bald seinen sechsten Zwergplaneten?

Zwergplaneten sind nach der Definition der IAU Himmelskörper, die zwar die runde Form eines Planeten haben, aber zu wenig Masse besitzen, um ihren Abstandsbereich zur Sonne zu dominieren. Der bekannteste Vertreter ist sicher Pluto (2400 Kilometer Durchmesser). Mit Eris, Makemake und Haumea kreisen drei weitere Zwergplaneten in den Außenbereichen unseres Sonnensystems. Ceres ist mit 950 Kilometern Durchmesser das größte Objekt im Asteroidengürtel und zugleich der kleinste Zwergplanet.

Aber vielleicht nicht mehr lange, denn auch der Asteroid Hygiea scheint annähernd kugelförmig zu sein. Der von Annibale De Gasparis am 12. April 1849 in Neapel entdeckte Asteroid wurde nach Hygieia, der Tochter des Heilgottes Asklepios aus der griechischen Mythologie, benannt. Er ist nur das viertgrößte Objekt im Hauptgürtel. Aber anders als die etwas größeren Asteroiden Vesta und Pallas scheint er tatsächlich kugelrund zu sein, wie Beobachtungen mit dem SPHERE-Instrument des Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte ESO ergeben haben.

„Dank der einzigartigen Möglichkeiten des SPHERE-Instruments am VLT, das eines der leistungsfähigsten Bildgebungssysteme der Welt ist, konnten wir die Form von Hygiea auflösen, die sich als nahezu kugelförmig erwiesen hat“, sagt der leitende Forscher Pierre Vernazza vom Laboratoire d’Astrophysique de Marseille in Frankreich in einer ESO-Mitteilung. „Dank dieser Bilder kann Hygiea als Zwergplanet reklassifiziert werden, der bisher kleinste im Sonnensystem.“

Die neuen Bilder erbrachten noch eine weitere Überraschung: Hygiea mangelt es nämlich an den großen Einschlagkratern, wie sie bei anderen Mitgliedern der größten Asteroidenfamilien mit fast 7000 Mitgliedern Standard sind, die alle denselben Ursprung haben. Die Astronomen waren davon ausgegangen, dass das Ereignis, das zur Entstehung dieser Gruppe führte, auch auf Hygiea seine Spuren hinterlassen haben müsste.

„Dieses Ergebnis war eine echte Überraschung, da wir damit gerechnet haben, ein großes Einschlagsbecken vorzufinden, wie es bei Vesta der Fall ist“, erklärt Vernazza. Obwohl die Astronomen 95% der Oberfläche von Hygiea beobachtet haben, konnten sie nur zwei eindeutige Krater identifizieren. „Keiner dieser beiden Krater hätte durch den Einschlag verursacht werden können, der die Hygiea-Asteroidenfamilie hervorgebracht hat, denn deren Gesamtvolumen entspricht in etwa dem eines 100 km großen Objekts. Sie sind zu klein“, erklärt Miroslav Brož vom Astronomischen Institut der Karls-Universität im tschechischen Prag, einer der Ko-Autoren der Studie.

Anhand numerischer Simulationen folgerte das Team daraufhin, dass die Kugelform von Hygiea und die große Familie der Asteroiden wahrscheinlich das Ergebnis eines schweren Frontalzusammenstoßes mit einem großen Projektil mit einem Durchmesser zwischen 75 und 150 Kilometern sind. Der Aufprall müsste vor etwa 2 Milliarden Jahren stattgefunden haben. Der Mutterkörper wurde dabei völlig zerstört. Die übrig gebliebenen Teile setzten sich unter dem Einfluss ihrer Schwerkraft wieder zusammen und bildeten die runde Form von Hygiea sowie Tausende von Begleit-Asteroiden. „Eine solche Kollision zwischen zwei großen Körpern im Asteroidengürtel ist in den letzten 3 bis 4 Milliarden Jahren einzigartig“, erläutert Pavel Ševec, Doktorand am Astronomischen Institut der Prager Karls-Universität, der ebenfalls an der Studie beteiligt war.

SPHERE-Bild von Hygiea (Bild: ESO/P. Vernazza et al./MISTRAL algorithm (ONERA/CNRS))
Hygiea, Vesta und Ceres im Vergleich (Bild: ESO/P. Vernazza et al., L. Jorda et al./MISTRAL algorithm (ONERA/CNRS)()

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BrandonQMorris
  • BrandonQMorris
  • Brandon Q. Morris, 54, ist Physiker und beschäftigt sich beruflich und privat schon lange mit den spannenden Phänomenen des Alls. So ist er für den redaktionellen Teil eines Weltraum-Magazins verantwortlich und hat mehrere populärwissenschaftliche Bücher über Weltraum-Themen geschrieben. Er wäre gern Astronaut geworden, musste aber aus verschiedenen Gründen auf der Erde bleiben. Ihn fasziniert besonders das „was wäre, wenn“. Sein Ehrgeiz ist es deshalb, spannende Science-Fiction-Geschichten zu erzählen, die genau so passieren könnten – und vielleicht auch irgendwann Realität werden.