Faszinierende Bilder aus der Frühzeit des Universums

Neben der Theorie und dem Experiment ist heute die Simulation eines der wichtigsten Werkzeuge der Forschung. Manchmal entwickeln die Wissenschaftler Theorien, die sich noch nicht in der Praxis überprüfen lassen. Hier kann eine Simulation zeigen, wonach die Experimentalphysiker dann suchen müssen. Dann kann es vorkommen, dass zur Beschreibung der Wirklichkeit zwei verschiedene Theorien geeignet wären. Baut man auf beiden Simulationen auf, kann man je nach deren Ergebnis vielleicht die Spreu vom Weizen trennen. Und schließlich passiert es auch, dass noch gar keine Theorie vorhanden ist, nur Messdaten. Wenn es nun gelingt, eine Simulation zu erzeugen, die die gleichen Ergebnisse bringt wie das Experiment, dann kann man daraus vielleicht eine Theorie ableiten.

Astronomen, die den Kosmos simulieren wollen, stehen dabei normalerweise vor der Wahl: Entweder, sie stecken die Rechenleistung in Details – oder sie beschreiben in der Simulation einen möglichst großen Raum. Beide Verfahren haben Nachteile in ihrer Aussagekraft: Aus der Simulation weniger Galaxien lassen sich schlecht statistische Schlüsse ziehen, und großräumigen Simulationen fehlt es im Vergleich zur Realität an Details. Mit der astronomischen Simulation TNG50 gelang es Forschern nun erstmals, eine großräumige kosmologische Simulation mit der hohen Auflösung einer detaillierten Simulation zu verbinden, wie sie bisher nur für Untersuchungen einzelner Galaxien möglich war.

Und ganz nebenbei produziert die Simulation auch noch faszinierende Bilder aus der Geschichte des Universums, die Sie sich auf der Website des Projekts ansehen können. TNG50 umfasdt einen würfelförmigen Ausschnitt des Weltalls mit einer Seitenlänge von 230 Millionen Lichtjahren. Darin verfolgt die Simulation die gleichzeitige Entwicklung Tausender von Galaxien über 13,8 Milliarden Jahre kosmischer Geschichte hinweg und berücksichtigt dabei bis zu 20 Milliarden Teilchen, denen Dunkle Materie, Sterne, kosmisches Gas, Magnetfelder und supermassereiche schwarze Löcher entsprechen. Die Berechnung selbst erfolgte auf 16.000 Computerkernen des Hazel-Hen-Supercomputers in Stuttgart, des (Stand Juni 2019) drittschnellsten Rechners in Deutschland, die dafür mehr als ein Jahr lang rund um die Uhr gearbeitet haben (Hazel Hen besitzt insgesamt 185.000 Cores).

Zu den ersten wissenschaftlichen Ergebnissen von TNG50, die jetzt ein Team unter der Leitung von Annalisa Pillepich (Max-Planck-Institut für Astronomie, Heidelberg) und Dylan Nelson (Max-Planck-Institut für Astrophysik, Garching) veröffentlicht hat, zählen auch einige durchaus unerwartete Phänomene. „Numerische Experimente dieser Art sind besonders erfolgreich, wenn mehr herauskommt, als man hineingesteckt hat“, sagt Nelson. In der Simulation tauchten, so die Pressemitteilung, “Phänomene auf, welche die Wissenschaftler nicht explizit programmiert hatten.”

Die neue Simulation liefert dafür zwei spannende Beispiele. Zum einen geht es um die Entstehung von Scheibengalaxien wie unserer eigenen Milchstraße. Mit TNG50 als “Zeitmaschine” konnten die Forscher die kosmische Geschichte zurückspulen und sich dann ansehen, wie die schnell rotierenden Scheibengalaxien mit ihren geordneten Sternbewegungen aus den chaotischen, ungeordneten und hoch turbulenten Gaswolken früherer Epochen hervorgehen. Nach und nach kommt das Gas dabei zur Ruhe. Sterne, die aus diesem Gas entstehen, finden sich damit immer häufiger auf Kreisbahnen und bilden schließlich eine große Spiralgalaxie als eine Art galaktisches Karussell.

“TNG50 zeigt, dass sich unsere eigene Milchstraßengalaxie mit ihrer dünnen Scheibe voll im Trend befindet”, sagt Annalisa Pillepich. In den vergangenen zehn Milliarden Jahren seien zumindest diejenigen Galaxien, in denen noch neue Sterne entstehen, immer scheibenartiger geworden; zudem haben sich ihre chaotischen inneren Bewegungsmuster deutlich abgeschwächt. Kurz: “Das nur ein paar Milliarden Jahre alte Universum war viel chaotischer als heute.”

Die Astronomen haben bei der simulierten Evolution ihrer Galaxien ein weiteres Phänomen ausgemacht: Gas und Teilchenwinde, die mit hoher Geschwindigkeit aus den Galaxien ausströmen. Ursache sind Supernova-Explosionen sowie die Aktivität der supermassereichen schwarzen Löcher in den Zentren von Galaxien. Das Gas verlässt das Milchstraßensystem dabei zunächst in beliebige Richtungen. Aber mit der Zeit spielen sich die Gasströmungen auf einen Weg des geringsten Widerstands ein. Im späten Weltall strömt das Gas dann typischerweise in zwei entgegengesetzte Richtungen innerhalb von kegelförmigen Regionen aus. Sie ähneln zwei Eistüten – Spitze an Spitze positioniert, mit der Galaxie in der Mitte. Solche Strukturen findet man auch in den realen astronomischen Beobachtungsdaten.

Unter dem Einfluss der Schwerkraft von Dunkler Materie, welche die Galaxie einhüllt, werden diese Winde dann immer langsamer. Wie das Wasser einer Fontäne können sie auf die Ursprungsgalaxie zurückfallen und sie mit recyceltem Gas versorgen. Dieser Prozess sorgt außerdem für eine Umverteilung des Gases vom Zentrum einer Galaxie in ihre Außenbezirke und beschleunigt damit die Umwandlung der Galaxie in eine dünne Scheibe: Galaktische Strukturen bringen galaktische Fontänen hervor und umgekehrt.

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BrandonQMorris
  • BrandonQMorris
  • Brandon Q. Morris, 54, ist Physiker und beschäftigt sich beruflich und privat schon lange mit den spannenden Phänomenen des Alls. So ist er für den redaktionellen Teil eines Weltraum-Magazins verantwortlich und hat mehrere populärwissenschaftliche Bücher über Weltraum-Themen geschrieben. Er wäre gern Astronaut geworden, musste aber aus verschiedenen Gründen auf der Erde bleiben. Ihn fasziniert besonders das „was wäre, wenn“. Sein Ehrgeiz ist es deshalb, spannende Science-Fiction-Geschichten zu erzählen, die genau so passieren könnten – und vielleicht auch irgendwann Realität werden.