Schnellläufer-Sterne: Besucher aus einer anderen Galaxie

Die meisten Sterne in unserer kosmischen Umgebung sind relativ gemütlich unterwegs. Zwar bewegt sich das Sonnensystem mit etwas über 200 Kilometern pro Sekunde um den Kern der Milchstraße, doch darin steckt nur ein relativ geringer radialer Anteil (das ist der Geschwindigkeitsanteil in Richtung Zentrum): Die Sonne und die Sterne in ihrer Umgebung entfernen sich, schätzt man, mit etwa 15 Kilometern pro Sekunde vom galaktischen Zentrum. Es gibt jedoch Sterne, die weitaus schneller unterwegs sind, mit 100 bis 300 km/s. Bei solcher Hektik kann diese sogenannten Schnellläufer (oder hypervelocity stars, HSVs) die Schwerkraft der Milchstraße nicht mehr halten.

Was beschleunigt diese Objekte derart? Dazu hat man bisher zwei Theorien diskutiert. Die einfachste setzt ein Binärsystem voraus, in dem sich zwei Sterne sehr eng umkreisen wie ein Tanzpaar. Wenn nun einer der Partner loslässt (in einer Supernova explodiert), fliegt der andere mit seiner Rotationsgeschwindigkeit davon. Je näher der Stern seinem Partner war, desto schneller hat er rotiert, und desto höher ist nun seine Geschwindigkeit. Dabei gibt es allerdings Grenzen. Ein Stern kann, anders als ein Tanzpartner, einem anderen nicht beliebig nahe kommen, ohne mit ihm zu verschmelzen. Man kann ausrechnen, dass auf diese Weise maximal Geschwindigkeiten von 100 km/s erreichbar sind.

Die Forscher fanden aber bald einen zweiten Mechanismus. Falls ein Doppelsystem dem Schwarzen Loch im Zentrum der Milchstraße, Sagittarius A*, zu nahe kommt, kann es passieren, dass einer der Partner von diesem verschluckt wird. Im selben Moment verliert der zweite Partner seinen Halt und wird davongeschleudert. Das Schwarze Loch, das durch seine Schwerkraft automatisch Teil des Systems wird, gibt ihm einen zusätzlichen Schubs. So erreichen diese Schnellläufer auch mehr als 100 km/s und können sogar die Milchstraße verlassen. An ihrer Flugbahn sollte man allerdings erkennen können, dass sie Kontakt mit dem Zentrum der Milchstraße hatte.

Nun gibt es allerdings auch Schnellläufer-Sterne, die erkennbar aus einer anderen Richtung kommen. Was hat denen derart Beine gemacht? In einer Studie in den Monthly Notices of the Royal Astronomical Society finden Astronomen eine weitere Erklärung. Stellen Sie sich vor, Sie lassen eine Fliege aus dem Fenster Ihres 100 km/h fahrenden Autos nach draußen starten. Die Fliege selbst wird im Vergleich zu ihrer neuen Umgebung plötzlich zur Rennfliege – Sie ist 110 km/h schnell (100 km/h plus ihre Eigengeschwindigkeit). Kein Vogel wird sie je erwischen… (bis zu von der Luftreibung gebremst wird). So etwas ähnliches scheint manchen Schnellläufern auch passiert zu sein – Sie wurden von der Großen Magellanschen Wolke ausgestoßen. Dabei handelt es sich um eine Zwerggalaxis, die ihrerseits die Milchstraße umkreist, und zwar mit 400 km/s. Diese Geschwindigkeit addiert sich zur Eigengeschwindigkeit des Sterns, wenn er seine Ursprungs-Galaxie verlässt und in die Milchstraße einfliegt – die er denn auch irgendwann wieder verlassen wird, falls er lange genug lebt, denn die meisten HSVs sind relativ kurzlebige Blaue Riesen.

Der Schnellläufer-Stern HE 0437-5439 verlässt gerade die Milchstraße (Bild: NASA)

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BrandonQMorris
  • BrandonQMorris
  • Brandon Q. Morris, 54, ist Physiker und beschäftigt sich beruflich und privat schon lange mit den spannenden Phänomenen des Alls. So ist er für den redaktionellen Teil eines Weltraum-Magazins verantwortlich und hat mehrere populärwissenschaftliche Bücher über Weltraum-Themen geschrieben. Er wäre gern Astronaut geworden, musste aber aus verschiedenen Gründen auf der Erde bleiben. Ihn fasziniert besonders das „was wäre, wenn“. Sein Ehrgeiz ist es deshalb, spannende Science-Fiction-Geschichten zu erzählen, die genau so passieren könnten – und vielleicht auch irgendwann Realität werden.