Wie ein Universum aus verschwommener Dunkler Materie ausgesehen haben könnte

Die genaue Zusammensetzung von 84 Prozent der gesamten Materie des Universums ist unbekannt. Es ist der Teil, Dunkle Materie genannt, der weder Strahlung abgibt noch auf andere Weise als über die Gravitation mit der uns bekannten, gewöhnlichen Materie interagiert. Im Standardmodell des Universums, Lambda-CDM, steckt, was Kosmologen hinter der Dunklen Materie vermuten. Sie gehen davon aus, dass es sich um “kalte” Dunkle Materie (cold dark matter) handelt.

Als “kalt” gilt in der Physik, was sich nur langsam bewegt. Die so genannten “WIMPs” (weakly interacting massive particles) müssten bisher unbekannte Teilchen sein, schwerer als alles, was wir bisher kennen, und nur über ihre Gravitation nachzuweisen. Denn dass Dunkle Materie gravitativ wirkt, das ist im Grunde das einzige, das wir von ihr sicher wissen. Denn auf diese Weise wurde ihre Existenz auch erst hergeleitet.

Das Lambda-CDM-Modell gibt nun zwar die Wirklichkeit gut wieder. Sogar so gut wie bisher kein anderes Modell. Aber es hat auch Schwächen. Dazu gehört, dass man die CDM-Teilchen, die WIMPs, noch immer nicht gefunden hat. Aber manche Verteilungen Dunkler Materie im Umkreis von kleineren Galaxien verhalten sich auch nicht so, wie das die Forscher von kalter Dunkler Materie erwarten würden.

Deshalb suchen sie fleißig weiter nach anderen Modellen. “Heiße Dunkle Materie” etwa könnte aus Neutrinos bestehen, die sich fast mit Lichtgeschwindigkeit bewegen. Man weiß aber schon ziemlich sicher, dass es nicht genügend Neutrinos gibt, um das Universum wie erforderlich mit Dunkler Materie zu erfüllen. Axionen, bisher rein hypothetische Teilchen, sind eine weitere mögliche Form Dunkler Materie.

Einige Forscher schlagen eine dritte Form vor: Verschwommene Dunkle Materie (fuzzy dark matter). Warum ausgerechnet “verschwommen”? Nun, ihre Teilchen wären sehr, sehr, sehr klein und leicht. Ihre Masse läge in der Größenordnung von 10-22 Elektronenvolt (eV), also 28 Größenordnungen unter der des Elektrons. Wegen der Heisenbergschen Unschärferelation müssen Teilchen mit einer derart geringen Masse sich über große Entfernungen verschmieren. Verschwommene Dunkle Materie besitzt also in astronomischen Größenordnungen Quanteneigenschaften, während die uns bekannten Teilchen nur in winzigen Maßstäben mit ihren Quanteneigenschaften messbar sind.

Fuzzy Dark Matter ist dadurch nicht fassbar, sie entzieht sich prinzipiell jeder Beobachtung. Aber nur, weil wir sie nicht anhalten und messen können, muss das ja nicht heißen, dass sie nicht existiert. Tatsächlich würde die verschwommene Form der Dunklen Materie das oben genannte Problem mit den Materieverteilungen in Galaxien-Halos lösen. Und es könnte einen weiteren Weg geben, wie wir herausfinden können, in welcher Form Dunkle Materie wirklich existiert. Ein internationales Forscherteam hat dazu berechnet, wie die Evolution des frühen Universums jeweil ausgesehen haben müsste. Bestimmte Strukturen, die Filamente, an denen entlang die ersten Sterne entstanden, würden sich jeweils unterscheiden (siehe Bild). Nun müssen es die Astronomen bloß noch schaffen, weit genug in die Vergangenheit zu blicken, um diese Frage zu klären. Das sollte etwa mit dem künftigen James-Webb-Weltraumteleskop möglich sein.

In einem Universum mit kalter Dunkler Materie würden sich erste Galaxien in hellen Halos (links) bilden. Heiße Dunkle Materie würde zu Galaxien entlang langer, dünner Filamente führen (Mitte). Verschwommene Dunkle Materie (rechts) würde ähnliche Filamente erzeugen, jedoch mit zusätzlichen Interferenz-Strukturen wie Seiten auf einer Harfe. (Bild: Universities of Princeton, Sussex, Cambridge)
So würde sich die Dunkle Materie entlang eines Filaments verteilen, wenn Dunkle Materie verschwommen ist
(Bild: Universities of Princeton, Sussex, Cambridge)

Leave a Comment

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

BrandonQMorris
  • BrandonQMorris
  • Brandon Q. Morris, 54, ist Physiker und beschäftigt sich beruflich und privat schon lange mit den spannenden Phänomenen des Alls. So ist er für den redaktionellen Teil eines Weltraum-Magazins verantwortlich und hat mehrere populärwissenschaftliche Bücher über Weltraum-Themen geschrieben. Er wäre gern Astronaut geworden, musste aber aus verschiedenen Gründen auf der Erde bleiben. Ihn fasziniert besonders das „was wäre, wenn“. Sein Ehrgeiz ist es deshalb, spannende Science-Fiction-Geschichten zu erzählen, die genau so passieren könnten – und vielleicht auch irgendwann Realität werden.