Eine gigantische Kaltfront im Perseus-Cluster

Wenn die Tagesschau-Meteorologin vor einer Kaltfront über der Nordsee warnt, erwartet uns trübes Frühlingswetter mit Temperaturen unter zehn Grad Celsius. Astronomen haben da ganz andere Maßstäbe: Die Kaltfront, die sie unter anderem mit dem Chandra-Röntgenteleskop der NASA im Perseus-Galaxienhaufen verfolgen, hat eine Temperatur von 30 Millionen Grad. Kalt ist dieses relativ dichte Gasband nur im Vergleich zu dem weniger dichten, aber dafür 80 Millionen Grad heißen interstellaren Gas, das es durchquert – und das schon länger, als es das Sonnensystem gibt, nämlich seit über fünf Milliarden Jahren.

Galaxienhaufen wie der im Sternbild Perseus gehören zu den massivsten Objekten im Universum. Sie bestehen aus hunderten bis tausenden Galaxien, die die Gravitation zusammenhält, und enthalten oft riesige Reservoirs überhitzten Gases, das im Röntgenbereich hell leuchtet. Die Kaltfront im Perseushaufen ist eine Besonderheit; seit sie sich vor langer Zeit gebildet hat, scheint sie erstaunlich stabil zu sein, statt sich allmählich aufzulösen.

»Größe, Alter, Geschwindigkeit und Schärfe dieser Kaltfront sind bemerkenswert«, sagt Stephen Walker vom Goddard Space Flight Center der NASA in Greenbelt, der ihre Untersuchung leitet. »Alles, was dieses Wettersystem preisgibt, ist extrem«. Anders als auf der Erde, wo Kaltfronten letztlich durch die Rotation des Planeten entstehen, wurde das astronomische Phänomen wahrscheinlich bei der Kollision zwei oder mehrerer Galaxienhaufen geboren, als der größere Haufen den kleineren in seine zentralen Bereiche hineinzog. Wenn der kleinere Haufen dann nah am Zentrum vorüberzieht, versetzt die Anziehungskraft beider Strukturen das Gas im Zentrum in Bewegung, so wie sich Wein in einem Glas beim Schwenken bewegt. Diese Verwirbelung erzeugt ein Spiralmuster von Kaltfronten, die sich langsam nach außen bewegen. Dabei stoßen sie allerdings auf Hindernisse, etwa Turbulenzen, die von dem superschweren Schwarzen Loch im Perseus-Zentrum erzeugt werden.

»Trotzdem blieb die Kaltfront dabei irgendwie intakt«, sagt John ZuHone vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics in Cambridge, Massachusetts, einer der Kollegen von Walker. Vermutlich, so die Forscher, haben sich Magnetfelder an den Vorderkanten der Kaltfront verankert, die diese wie ein Schirm gegen die von dem Galaxienhaufen ausgeübten Kräfte schützen. In einer Computersimulation haben die Forscher diese Idee getestet. Dabei fanden sie heraus, dass das Magnetfeld nicht zu stark und nicht zu schwach sein darf. Das Magnetfeld entlang der Kaltfront hat demnach nur etwa ein Millionstel der Stärke eines Kühlschrank-Magneten, ist dabei aber immer noch zehnmal stärker als anderswo im Galaxienhaufen.

Die vertikale Struktur auf der linken Seite ist die beschriebene Kaltfront. Sie ist etwa zwei Millionen Lichtjahre groß und bewegt sich bereits seit über fünf Milliarden Jahre mit etwa 130 Kilometern pro Sekunde im Perseus-Cluster nach außen. (Bild: NASA/CXC/GSFC/S. Walker, ESA/XMM, ROSAT)

 

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BrandonQMorris
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  • Brandon Q. Morris, 54, ist Physiker und beschäftigt sich beruflich und privat schon lange mit den spannenden Phänomenen des Alls. So ist er für den redaktionellen Teil eines Weltraum-Magazins verantwortlich und hat mehrere populärwissenschaftliche Bücher über Weltraum-Themen geschrieben. Er wäre gern Astronaut geworden, musste aber aus verschiedenen Gründen auf der Erde bleiben. Ihn fasziniert besonders das „was wäre, wenn“. Sein Ehrgeiz ist es deshalb, spannende Science-Fiction-Geschichten zu erzählen, die genau so passieren könnten – und vielleicht auch irgendwann Realität werden.