Wie der Magellansche Strom entstand

Die Milchstraße durchquert das Universum nicht allein. Sie wird in ihrer Bahn von kleineren Galaxien begleitet. Die beiden größten sind als Kleine und Große Magellansche Wolke bekannt, die als staubige Zwillingsschlieren in der südlichen Hemisphäre sichtbar sind.

Als die Magellanschen Wolken vor Milliarden von Jahren begannen, die Milchstraße zu umkreisen (ganz sicher sind sich die Astronomen bezüglich des Zeitpunkts und der gravitativen Bindung nicht, evtl. nähern sie sich auch gerade zum ersten Mal an), wurde ein enormer Gasstrom, der als Magellanscher Strom bekannt ist, aus ihnen herausgerissen. Der Strom erstreckt sich nun über mehr als die Hälfte des Nachthimmels. Aber die Astronomen konnten sich nicht erklären, wie der Strom so massiv wurde, dass er als eine Milliarde Sonnenmassen enthält, was einem Zehntel der Masse der GMC entspricht.

Jetzt haben Astronomen der Universität von Wisconsin-Madison und ihre Kollegen entdeckt, dass ein Halo aus warmem Gas, der die Magellanschen Wolken umgibt, wahrscheinlich wie ein schützender Kokon wirkt, der die Zwerggalaxien vor dem eigenen Halo der Milchstraße abschirmt und den größten Teil der Masse des Magellanschen Stroms beisteuert. Als die kleineren Galaxien in den Einflussbereich der Milchstraße kamen, wurden Teile dieses Halos gedehnt und zerstreut, um den Magellanstrom zu bilden. Die Forscher veröffentlichten ihre Ergebnisse am 9. September in der Zeitschrift Nature.

“Die bestehenden Modelle für die Entstehung des Magellan-Stromes sind veraltet, weil sie seine Masse nicht erklären können”, sagt Scott Lucchini, ein Doktorand in der Physikabteilung der UW-Madison, Erstautor der Arbeit. “Deshalb haben wir eine neue Lösung gefunden, die die Masse des Stroms hervorragend erklären kann”, fügt Elena D’Onghia hinzu, eine Professorin für Astronomie an der UW-Madison.

Ältere Modelle legten nahe, dass gravitative Gezeiten und die Kraft der gegeneinander drängenden Galaxien den Magellanstrom aus den Magellanschen Wolken bildeten, als die Zwerggalaxien in eine Umlaufbahn um die Milchstraße kamen. Während diese Modelle die Größe und Form des Stroms weitgehend erklären konnten, kamen sie doch nur auf ein Zehntel seiner Masse. Kürzlich entdeckten Astronomen, dass die Magellanschen Wolken so massiv sind, dass sie von einem eigenen Halo oder einer Corona aus warmem Gas umgeben sind. D’Onghia und ihr Team erkannten, dass diese Corona die Entstehung des Stroms dramatisch verändern würde.

In neuen Simulationen, die von Lucchini durchgeführt wurden, wird die Entstehung des Magellan-Stromes in zwei Perioden unterteilt. Während die Magellanschen Wolken noch weit von der Milchstraße entfernt waren, zog die Große Magellansche Wolke über Milliarden von Jahren Gas von ihrem kleineren Partner ab. Dieses “gestohlene” Gas trug schließlich 10 bis 20 Prozent zur endgültigen Masse des Stroms bei. Später, als die Wolken eine Umlaufbahn um die Milchstraße einschlugen, gab die Corona ein Fünftel ihrer eigenen Masse ab und bildete den Magellanstrom, der durch Wechselwirkungen mit der Schwerkraft der Milchstraße und ihrer eigenen Corona über einen riesigen Himmelsbogen gespannt wurde.

Das neue Modell ist das erste, das die volle Masse des Magellanstroms und seinen größten Teil erklärt, der aus ionisiertem Gas stammt, das energiereicher ist als nicht-ionisiertes Gas. Es erklärt auch besser, wie der Strom seine fadenförmige Gestalt annahm und warum ihm Sterne fehlen – weil er größtenteils aus der sternfreien Corona und nicht aus den Zwerggalaxien selbst gebildet wurde. “Der Strom ist ein 50 Jahre altes Rätsel”, sagt Andrew Fox, einer der Koautoren der Studie und Astronom am Space Telescope Science Institute, das das Hubble-Weltraumteleskop betreibt. “Wir hatten nie eine gute Erklärung dafür, woher er kam.”

Die Theorie der Forscher kann nun direkt getestet werden. Das Hubble-Teleskop sollte in der Lage sein, die verräterischen Signaturen der Gascorona zu sehen, die die Magellanschen Wolken umgibt.

Ein Blick auf den Magellanschen Strom, wie er am Nachthimmel erscheinen würde, könnte man ihn mit bloßem Auge sehen. Die Magellansche Corona bedeckt den gesamten Himmel, während der Magellansche Strom als Gas gesehen wird, das von den beiden Zwerggalaxien, der Großen und der Kleinen Magellanschen Wolke, wegströmt. Dieses Bild stammt direkt aus den numerischen Simulationen, wurde jedoch aus ästhetischen Gründen leicht modifiziert. (Bild: Colin Legg/ Scott Lucchini).
Der Film zeigt die letzten 1,34 Milliarden Jahre der Dynamik der Magellanschen Wolken, während sie sich der Milchstraße nähern. Die obere Tafel zeigt das gesamte Gas einschließlich der ionisierten Magellanschen Corona, während die untere Tafel nur das kalte Gas zeigt, das aus den Scheiben der Wolken stammt. Beobachtungsdaten sind auf der unteren Tafel dargestellt (Video: Scott Lucchini)
Die Annäherung der Magellanschen Wolken an die Milchstraße. Die Beobachtungsdaten sind auf der linken Seite dargestellt, wobei die Punkte ionisiertes Gas repräsentieren, während die Simulation auf der rechten Seite gezeigt wird. Die Farben stellen die Sichtliniengeschwindigkeit des Gases dar, und die Helligkeit gibt die relative Dichte an. Der Film beginnt vor 550 Millionen Jahren und dauert bis heute an. (Video: Scott Lucchini)

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BrandonQMorris
  • BrandonQMorris
  • Brandon Q. Morris, 54, ist Physiker und beschäftigt sich beruflich und privat schon lange mit den spannenden Phänomenen des Alls. So ist er für den redaktionellen Teil eines Weltraum-Magazins verantwortlich und hat mehrere populärwissenschaftliche Bücher über Weltraum-Themen geschrieben. Er wäre gern Astronaut geworden, musste aber aus verschiedenen Gründen auf der Erde bleiben. Ihn fasziniert besonders das „was wäre, wenn“. Sein Ehrgeiz ist es deshalb, spannende Science-Fiction-Geschichten zu erzählen, die genau so passieren könnten – und vielleicht auch irgendwann Realität werden.